Sie alle geben sich bei der Familie Schmalle – Daniele und Falko (Fünfte und Sechster von rechts) – die Klinke in die Hand, um den barrierefreien und schwierigen Umbau des Reihenhauses möglichst schnell über die Bühne zu bekommen. FOTOs: burger/Privat bur

Wenn uns das Leben eines lehrt, so die Tatsache, dass es nicht planbar ist. Ob es gerecht ist, ob es ein Kampf wird oder die Straße einen geraden Verlauf nimmt, das mag jeder selbst für sich bestimmen. Aber planbar ist es sicher nicht. Um im Bild zu bleiben: Es entscheidet oft nur eine Nuance Abweichung des gewohnten Verlaufs, ob man sich überraschend in einem Berg Scherben und verbeulten Blech wiederfindet. In diesem Jahr musste eine Anspacher Familie erleben, wie ohne eigenes Zutun das Familienleben auf den Kopf gestellt wird. Wir hatten bereits über den 17-Jährigen berichtet, der auf der Heimfahrt – tragischerweise auch noch von einem Fahrsicherheitstraining – verunglückte und nun im Rollstuhl sitzt. Seit Anfang Sommer versucht Victor in einer Frankfurter Klinik die körperliche, aber vor allem auch den seelischen Tiefschlag zu verarbeiten. Mit Hilfe der Ärzte. Aber vor allem auch mit Hilfe der Eltern, der Familie, der Schwester, der Freundin, der Freunde. Es mag von der gewohnten Norm journalistischen Tuns abweichen – aber in diesem Fall blicken wir, ohne Victor aus den Augen zu lassen, auf die Eltern.

Rückhalt mit Nachbarn und schnelle Hilfsaktion

Vorweg: Eine Hilfsaktion startete bereits kurz nach dem Unfall, mit Hilfe der FNP-Leberecht-Stiftung, der Usinger Straßheimer-Stiftung, der Anspacher Heinrich-Nöll-Stiftung und der Franz-Rühl-Stiftung ist ein Teil der finanziellen Folgen gedämpft, aber um das Reihenhaus rollstuhlgerecht umzubauen und nach Victors Heimkehr – anvisiert im März/April – ihm ein eigenständiges Leben bieten zu können, sind rund 140 000 Euro notwendig. Geld, das in diesen Zeiten niemand auf der hohen Kante liegen hat. Während die Stiftungen an ihre Gabe keine Bedingungen knüpfen und im fünfstelligen Bereich agieren, muss sich die Familie mit Versicherungen und Kassen per Formulare abmühen, um, mit Glück, 4000 Euro zu erhalten. Menschlichkeit und Bürokratie haben deutlich ein Problem miteinander. Und so standen die Handwerker lange parat, denn ein Umbau vor Zusage der Kassen-Hilfen hätte die Hilfe verhindert. Inzwischen darf gearbeitet werden.

Daniela und Falko Schmalle haben den Unfall längst nicht verkraftet, wie auch in den wenigen Monaten, in denen die Kraft täglich in ein Lächeln floss, aufmunternde Worte wichtig waren, wo Aufmunterung selbst Not getan hätte. Wie geht man mit einem Tiefschlag dieser Art ganz persönlich um? Schmalles haben noch keine Antwort. Und auch noch gar keine Zeit, um Antworten zu suchen, viel zu viel beschäftigt der anstehende große Umbau mit der Planung den Tagesablauf – und nicht zu vergessen, dass Falko Schmalle seinen Job nicht vernachlässigen kann, auch wenn der Arbeitgeber ihm in vielen Bereichen entgegenkommt. Die selbstständige Daniela Schmalle arbeitet wann sie kann und hat eine Partnerin im Geschäft, die ihr den Rücken freihält. Die Reaktionen auf den Unglückstag hätten unterschiedlicher nicht sein können und sind doch so menschlich. Sie stürzte sich am Unglücksabend in Planungen und Listen für Dinge, die abzuarbeiten waren und sind, er packte an und begann in dem kleinen Eigenheim zwei Räume freizuräumen für künftige Umbauten. Wer das Reihenhaus kennt, weiß dass im beengten Platz ein Freiräumen gleichbedeutend mit Entsorgen ist. „Irgendwie haben wir es geschafft“, lacht er. Völlig normale, verständliche Übersprungshandlungen. Andere haben in gleicher Situation Erdbeeren gepflanzt. Und es dauerte Monate, bis die Handlungen und Gedanken nicht mehr aus einer weißen Wand aus Watte gedämmt wurden. Eines haben sie beide richtig gemacht: Sie gingen offensiv mit dem Drama um. Ob Nachbarn, Freunde oder Bekannte, am Zaun oder beim Einkauf: Auf alle Fragen antworteten sie und nahmen so auch Menschen Berührungsängste. Denn die Scheu, die Unsicherheit, sich mit dem Unglück von Bekannten zu beschäftigen, kennt wohl jeder. Schmalles haben solchen Vorbehalten durch ihre Art den Wind aus den Segeln genommen.

Suche nach dem Weg

Und: Sie bekamen zurück. „Es waren und sind sehr oft die kleinen Gesten, die uns helfen, die zeigen, dass es weiter geht. Jemand drückte uns Plastik-Planen in die Hand, damit beim großen Umbau nicht alles einstaubt“, schmunzelt Daniela Schmalle. „Mitgefühl hat uns aufgebaut. Und wir waren überrascht, fassungslos, von welchen Seiten Hilfe kam. Nachbarn, Bekannte, die Schule – es ist überwältigend. Und es ist notwendig. Denn die Kosten sind enorm.“ Nicht immer glaubt der Autor den Aussagen im Gespräch. Dass etwa „Eltern nicht naiv sein dürfen und sich keine Hoffnung auf Besserung machen sollen“. Die Hoffnung ist in den schimmernden Augen zu sehen, vereint mit dem völlig normalen Anteil an Verzweiflung. Tut nicht not, morgen wird es auch ohne Zweifel. Hoffnung, dass es vielleicht irgendwann nur noch Gehhilfen sind statt Rollstuhl. Der Kopfmensch sagt: Beginnt mit der Planung ab dem Tag des Unfalls. Der Bauchmensch weist darauf hin, dass Hoffnung in rauer See wie eine Insel sein kann. „Wir planen den Umbau so, dass Victor im Rollstuhl den Alltag selbstständig meistern kann“, sagt sie. Und wenn es dann doch noch besser werden sollte, dann „ist dies das Bonusprogramm“. Wünschen wir, dass es viele Bonuspunkte gibt.

Gibt es eigentlich die beiden Menschen nach den langen Monaten noch? Daniela und Falko? Fast wäre man versucht zu sagen: fast. Sie wissen wohl um den Stellenwert, in aller arbeitsreichen und notwendigen Hektik sich Auszeiten zu gönnen – allein es fehlt die Zeit. Bei einem Drechselkurs hat sie versucht, ein Trippelschrittchen Abstand zu gewinnen, er bei einer Radtour durchs Taubertal. Um schon Minuten später nach der Heimkehr wieder in der Realität anzukommen. „Er macht sich Vorwürfe wegen des Unfalls“, sagte Daniela. „Nein, eigentlich nicht“, meint er. Macht er sich doch, entgegen besseren Wissens, dass er als Vorausfahrender mit gemäßigter Geschwindigkeit nichts hätte ändern können. Genauso wenig, wie man daran ändern kann, dass man sich Vorwürfe macht. Der Korse an sich würde mit den Schultern zucken, einen Pastis leeren und „Destinu“ murmeln. Schicksal. Nicht mehr, nicht weniger. Ist das einem Mann in dieser Situation hilfreich? Nein. Wer die beiden die vergangenen Monate begleitet hat, sieht eine kleine, aber doch merkliche Veränderung. Jetzt, nachdem der Umbau läuft, die physische Vorbereitung auf Victors Heimkehr zeitlich eingrenzbar ist, wird die „seelische Heimkehr“ immer wichtiger. Quo vadis?

Kleine Gesten, große Wirkung

Victor selbst, so die Erzählungen, ist stark, mit allen Höhen und Tiefen, körperlich und seelisch. Sein Leben neu ordnen zu müssen, bedarf einer stabilen Denke. Hat er. Und seine Freundin ist ein kräftiger Rückhalt. Vielleicht, und auch das lehrt die Erfahrung, sind starke Schultern gegenseitig, die von Freunden und die der Familie, in den nächsten Monaten verstärkt angesagt. Bei den Eltern. Ein Kaffeebesuch der Nachbarn. Kleine Gesten. Sich rausnehmen aus einem Trott, der kein Ziel zu kennen scheint. Der Sohn, und auch das zeigen die Erzählungen, findet seinen Weg. Ein paar Schilder für die Eltern wären gut. Fest steht, so kann der Beobachter attestieren: In diesem Fall gilt nicht die übliche Reaktion vieler Bürger auf die Schreckensnachrichten: Ein kurzer „Uiuiui“ – um dann zur Tagesordnung überzugehen. Schmalles haben und brauchen den Rückhalt. Und können alle guten Wünsche benötigen. Heute ist Heiligabend. Und wenn Sie dies nun gelesen haben wird die Frage, wie wichtig materielle Geschenke unterm Baum sind, schnell zu beantworten sein. Ein segensreiches, ein friedliches und vor allem ein gesundes Fest! Vor allem euch, liebe Familie Schmalle. Andreas Burger

Starker Helfertruppe folgt dem Ruf von Ralf Oldenburg

Ein barrierefreier Umbau eines kleinen Hauses ist eine echte Herausforderung. Und was im Fall der Familie Schmalle geschah, dürfte an ein kleines Wunder grenzen – vor allem in dieser Zeit, in der Handwerker-Kalender auf Jahre hinaus ausgebucht sind und Material kaum zu bekommen ist. Dank eines Mannes läuft der ganze Umbau in geregelten Bahnen, geben sich die Arbeiter die Klinke in die Hand und kommen die Arbeiten zu einem schnellen Abschluss. Mit Ralf Oldenburgs Hilfe konnte der Umbau schon kurz nach den Finanz-Bescheiden der Kassen starten. Und ist trotz kompletten Umbaus einer Abstellkammer zum Bad, neuen Fenstern mit Lichtschacht in einem Kellerraum, Aufzug mit Wandversetzung, Rampe zur Haustür und neuen Innen-Türen, Elektro, Wasser, Strom und mehr bald abgeschlossen. Und alle Handwerker und Firmen haben es sich nicht nehmen lassen, beim Preis – ob für Arbeitszeit oder Material – deutlich die Schraube nach unten zu drehen. Mario Fuchs etwa von der Hiro Lift Hillenkötter und Ronsieck GmbH fackelte nicht lange und schob die Baustelle zwischen viele andere Aufträge. Christian Bangert zog mit Armin Ott bei der Elektro-Installation am gleichen Strang und stand parat, wann immer es um Leitungen und Schalter ging. Oder sogar um die Verlegung des großen Sicherungskastens. Joachim Brötz kam mit seiner Unikat Holzverarbeitung, um überall dort anzupacken, wo Türen neu zu setzen waren. Eine starke Hilfe war natürlich auch Sven Oldenburg mit der Baudekoration Wilhelm, die der Baustelle sozusagen wieder ein „End-Gesicht“ gaben. Lina Albrecht und Fabian Müller-Albrecht von Fenster-Müller mussten erst gar nicht groß gebeten werden – sie machten über ihre Spenden kein großes Aufsehen. Die Siegfried Müller GmbH & Co. KG Heizung und Sanitär mit Stephan Müller verlegten Heizkörper und brachten neue Wärme, wo sie hin musste. Von der A bis Z Bauausführung zeigte Alexander Zwick, wie schnell große Brocken aus dem Weg geräumt werden können. Mit Frank Nikolai bekam das Bad einen modernen Fliesenlook, Mann Mobilia sorgte mit einem satten Rabatt für Möbel, Jäger und Hoeser mit dem Baustoffunternehmen brachten viele Lieferungen schnell ins Rollen. Für die Planung waren die Architekten Jürgen und Marianne Höser zu Stelle, das Elements Bad Homburg als Bäderstudio kam in vielen Bereichen der Familie entgegen und zeigte, was Service ist. Und: Große Hilfe gab’s auch von Stahlbau Lichtenthäler und den Helfern der Betonknacker. Nicht vergessen darf man auch die Stadt Neu-Anspach und Bürgermeister Thomas Pauli (SPD). Denn er überzeugte den Magistrat, dass Geld der vorhandenen Stiftungen hier gut angelegt ist und kümmert sich auch weiter um finanzielle Hilfen. Aber: Ohne Ralf Oldenburg geht das Ganze kaum so geordnet, so schnell über die Bühne. Obwohl im Ruhestand, übernahm der „Rentner“ ehrenamtlich die gesamte Planung, nachdem er vom Fall gehört hatte. Der 1959 in Warstein geborene Oldenburg lernte erst Maurer, absolvierte in Hamburg sein Hochbautechnikerstudium und kam 1987 über die Firma Ambrock nach Köppern und leitete die Niederlassung bis 1995. Danach war er bei der Firma Kraus in Frankfurt bis 2001 und übernahm dann die Firma Wilhelm aus Bad Soden-Salmünster, zog 2009 aufs alte Gelände vom Dachdeckermeister Fred Feustel im Stockheimer Weg. Seid 15 Jahren ist er auch Gutachter für Feuchte- und Schimmelschäden und seit zehn Jahren Gutachter für Innen- und Außenputze. „Zur Familie Schmalle bin ich über den behandelnden Arzt gekommen und über Zeitungsberichte. Eigentlich hatte ich dieses Jahr für so einen Auftrag keine Zeit mehr, denn ich wollte mich mehr um meine Frau kümmern, die seit 40 Jahren zu kurz gekommen ist. Aber als dann die Anfrage kam, da konnte ich nicht ,Nein‘ sagen.“ Zum Glück hat er durch seinen Job einen großen Firmenpool. Und wenn dann alles abgeschlossen ist, hat er auch wieder mehr Zeit für seine drei Enkel und für Reisen, die zu kurz kamen. Ihnen allen sagt die Leberecht-Stiftung für den unkomplizierten Einsatz ganz herzlichen Dank. bur