Lehrer Jan-Max Gramberg trifft mit den Schülern Giuseppe (15), Lorenzo (13) und Nasser (13, von links) Vorbereitungen, um die zwei Bienenstöcke zu besuchen. Foto: Astrid Kopp
Frankfurt. Ein dickes Huhn mit grau-weiß gesprenkeltem Gefieder läuft gemächlich im kleinen quadratischen Innenhof der Johann-Hinrich-Wichernschule umher. Pickt mal hier, pickt mal da, wirkt insgesamt ziemlich gelangweilt. Dabei ist dieses Huhn mit Namen Big Mama für viele Schüler der Förderschule im Victor-Gollancz-Weg ein Höhepunkt im Schulalltag.
Elf Hühner lebten hier noch vor Weihnachten, doch dann kam in den Ferien der Habicht und freute sich über ein Festmahl. „Acht Jahre lang ist hier nichts passiert, und jetzt so etwas“, sagt Schulsekretärin Gabriele Merk (55) und zeigt Fotos der geschlagenen Tiere. Ein Netz soll nun über dem Innenhof gespannt werden und künftige Raubvogelattacken verhindern. Ein Teil der Materialien liegt schon bereit. Doch für solche Sonderausgaben benötigt die Schule finanzielle Unterstützung, die sie auch von der Leberecht-Stiftung dieser Zeitung erhält.
Hühnerprojekt läuft seit neun Jahren
Seit 20 Jahren hält Gabriele Merk Hühner. 2012 besuchte sie mit einer Klasse der Wichernschule die Hühner und Küken im Geflügelzuchtverein. Da kam die Idee für das Hühnerprojekt auf. 2015 startete es, und seitdem lebt auch die gemütliche Big Mama im Hof. Neun Jahre ist das Huhn jetzt schon alt. Seit der Hahn vom Habicht geschlagen wurde, ist sie die Chefin des Hühnerhaufens.
Maxim (16) und Julie (15) sind fast jeden Donnerstag bei den Hühnern. Die beiden Neuntklässlerinnen kümmern sich gerne um die Tiere, reinigen den Stall und die Sandkiste, füllen das Wasser auf und füttern. „Salat ist für die Tiere wie Schokolade“, sagt Dorothee Franz (62), die das Projekt als Lehrerin mit gegründet hat. Ursprünglich hätten die Hühner an einem anderen Ort auf dem Gelände ihr Zuhause finden sollen, erzählt sie. Aber dann kamen sie zu Beginn übergangsweise in den kleinen Innenhof, und alle waren davon angetan, wie gut die Tiere dort beobachtet werden können. Fensterfronten von Bibliothek, Lehrerzimmer und Computerraum ermöglichen den Blick in den Hof, die Schüler nutzen vor allem den Gang vor den Toiletten, um von oben auf die gackernde Schar zu blicken.
Für Projekte braucht es finanzielle Unterstützung – die LEBERECHT leistet
Projekte wie dieses, aber auch Ausflüge oder Klassenfahrten seien ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung nicht zu bezahlen, sagt Elke Mai-Schröder, Vorsitzende des Fördervereins. In dem engagieren sich vor allem aktive und ehemalige Lehrkräfte. Auch Mai-Schröder hat früher an der Wichernschule unterrichtet. Jetzt schaut sie vom Verwaltungstrakt aus zu, wie der zehnjährige Eray im Innenhof ganz geduldig auf dem Boden hockt und darauf wartet, dass Big Mama ihm ein paar Körner aus der Hand pickt.
Der Grundschüler wurde gemeinsam mit anderen Kindern seiner Klasse von Maxim und Julie im Umgang mit den Hühnern angeleitet. Vor allem ruhig sein und hektische Bewegungen vermeiden müsse man, betonen die beiden Neuntklässlerinnen. Schließlich seien Hühner Fluchttiere. Bei Big Mama siegt die Lust auf Sonnenblumenkerne, sie lässt sich von Eray füttern. Sein Klassenkamerad Noah (9) hat derweil ein anderes Erfolgserlebnis: Er findet ein Ei. Gelegt hat es vermutlich eines der beiden weißen Zwergseidenhühner Hanni und Nanni, die wie ihre literarischen Namensgeberinnen kaum zu unterscheiden sind. Nanni ist Maxims Lieblingshuhn. Obwohl oder vielleicht gerade, weil man das Vertrauen der scheuen Hühnerdame erst einmal gewinnen muss.
Big Mama heißt das Huhn, das Eray sehr geduldig füttert. Big Mama ist schon neun Jahre alt, Eray nur ein Jahr älter. Foto: Astrid Kopp
Tiere nehmen Schüler an, wie sie sind
„Für alle Kinder, vor allem aber für unsere Schülerinnen und Schüler ist es eine ganz wichtige Erfahrung, dass sie genügen. Viele haben bisher im Leben die Erfahrung gemacht, irgendwie falsch zu sein, nicht dazu zu passen. Von den Tieren werden sie so angenommen, wie sie sind“, sagt Schulleiterin Martina Frank und streichelt Hanni, die auf ihrem Arm einschläft.
Zu anderen Tieren auf dem Schulgelände halten Nasser (13), Lorenzo (13) und Giuseppe (15) gerade lieber etwas Abstand. Die drei stehen in weiße Imkeranzüge gehüllt im Schulgarten und sehen ihrem Lehrer Jan-Max Gramberg dabei zu, wie er vorsichtig einen Bienenstock öffnet. „Wir pusten hier noch ein bisschen Rauch rein, damit die Bienen wissen, dass wir da sind“, erklärt Gramberg. Zwei Bienenvölker überwintern gerade an der Wichernschule, „in diesem Jahr machen wir uns an die Vermehrung“, sagt Gramberg. Er verantwortet das Bienenprojekt mit Unterstützung eines lokalen Imkers und kann stolz von 14 Kilo Honig berichten, den die Schulbienen 2023 produziert haben.
Süßes Gold der Bienen ist sehr beliebt
Über das süße Gold freuen sich die Schüler ebenso wie das Kollegium, einen Teil des Ertrags verkauft der Förderverein auf dem Weihnachtsmarkt. Doch bis wieder Klasse für Klasse in der Turnhalle den Honig aus den Waben schleudern kann, dauert es noch einige Monate. Heute gehe es darum zu prüfen, ob die Bienen noch genug Futter haben und gut durch den Winter kommen, erklärt Gramberg den Jungen, die sich nervös umblicken, als sie von einigen Bienen umschwärmt werden. Ganz unangebracht ist ihre Vorsicht nicht, wurde ihr Lehrer doch alleine im vergangenen Jahr fünfmal gestochen, erzählt er. So lernen die Schüler beim Bienenprojekt nicht nur, sich um Lebewesen zu kümmern, sondern auch Respekt vor ihnen zu haben. Astrid Kopp
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