Oberstleutnant Alexandra Schütz-Knopse leitete in der Alten Oper das Heeresmusikkorps und das Worlds Doctors Orchestra im zweiten Teil des Konzerts hin- und mitreißend. Sie ist die bisher erste und einzige Leiterin im Militärmusikdienst der Bundeswehr. FOTO: Michelle Spillner

 

Frankfurt – Das Orchester besteht aus Menschen, die Lendenwirbel einrenken, Zähne ziehen und Implantate setzen, Menschen durch Herzoperationen das Leben retten, Kinder mit Kaiserschnitt zur Welt bringen und in der Notfallmedizin akzeptieren müssen, wenn sie für Patienten nichts mehr tun können. Aber in den zweieinhalb Stunden auf der Bühne der Alten Oper spielt das alles keine Rolle. Dann sind die Mediziner aus aller Welt – von Polen bis zu den USA, von Brasilien bis Schweden – Musiker auf hohem Niveau, die sich neben ihren Berufen für einen kurzen Zeitraum zusammengefunden haben, um in ihrer 33. Session zwei weitere Benefizkonzerte zu geben.

Der Charité-Direktor
schwingt den Taktstock

In 13 Jahren hat das World Doctors Orchestra (WDO), an dem 1600 Mediziner mitwirken, mit der Botschaft „Gesundheit ist ein Menschenrecht“ mehr als eine Millionen Euro Spendengelder eingespielt. Das erste Konzert des WDO in Frankfurt ist ein ganz Besonderes. Zum ersten Mal spielen die Mediziner mit dem Heeresmusikkorps Koblenz zusammen. Und die Auswahl der Stücke hätte nicht besser sein können.

Mit Professor Dr. Stefan Willich als Dirigent des ersten Teils steht ein groß gewachsener, schlanker Mann mit ausladenden und weichen Bewegungen dem Ensemble vor, der ansonsten Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité in Berlin ist. Gerade wurde er als erster Deutscher mit der höchsten Auszeichnung bedacht, der Harvard School of Public Health, für seine Verdienste um den Aufbau des Immunologischen Instituts und für die Gründung des World Doctors Orchestra.
Der Dermatologe Mark Lupin aus Kanada, im Orchester die Erste Geige, hat den Ton vorgegeben. Dann hob Willich zu den ersten Takten der Alpensinfonie von Richard Strauss an. Ein monumentales Werk, das musikalisch einmal durch Berge und Täler führt, bis hoch auf den Gipfel, durch gefahrvolle Augenblicke, am Bach entlang, über eine Kuhweide, durch Höhen und Tiefen. Die Piccoloflöte der Frankfurter Leukämieforscherin Daniela Krause begleitet hinauf auf die Alm.

Die Komposition bietet allen widersprüchlichen Gemütslagen unserer pandemischen Zeit Raum: von zarter Verletzlichkeit der kleinen Blumen auf der Wiese bis hin zum Gewitterdonner in den Bergen, als Ausdruck des Zorns darüber, wie alles in den vergangenen fast zwei Jahren gekommen ist. Da ist Bernardo Neves (Innere Medizin) aus Lissabon an den Pauken in seinem Element.
Mehr und mehr wächst das Orchester zusammen. Die Musiker spielen mit so großer Inbrunst, dass im akustischen Unwetter das Gewitterblech und der Percussion-Ständer Mühe haben, ihnen Stand zu halten.

Kontrastprogramm im zweiten Teil auf mehrerlei Ebenen: Weg von der Klassik geht es beschwingt los mit dem Florentiner Marsch von Julius Fucik – in der Version mit Streichern nur selten zu hören. Dann nehmen Filmmusiken von John Williams mit nach Hollywood: die „Olympic Fanfare“, „Star Wars“, „Jurassic Park“, „E.T.“ und die Titelmelodie von „Der weiße Hai“, die von den Musikern höchste Geschlossenheit verlangt. Beim berührenden „Halleluja“ (Leonard Cohen) mit dem Solo-Sopran-Saxophonisten Christopher Buchheim summt das Publikum im Saal leise mit – oder nestelt verstohlen nach einem Taschentuch.
Zuletzt ein Medley mit Songs des Jahres 1991 – beginnend mit „Wind of Change“ von den Scorpions. Das Vorspiel in einem gelungenen Arrangement ist eine Überraschung. Der Wind wird nicht gepfiffen. Die Geigen legen den Windteppich.

Kontrast auch am Dirigentenplatz. Nach dem bescheidenen Hünen mit geradezu sphärischer Klangfühligkeit nun eine Powerfrau, die eine Sensation ist. Ihr zackiger Aufgang verrät schon, dass jetzt noch mal ein anderer Wind weht. Mit Kraft, Präzision und Autorität dirigiert Alexandra Schütz-Knopse, Leiterin des Heeresmusikkorps und die bisher erste und einzige Leiterin im Militärmusikdienst der Bundeswehr, geradezu elektrifiziert. Im nächsten Moment scheint sie durch ihre bloße Anwesenheit und einen winzigen Fingerzeig mehr als 100 Musiker zweier Ensembles unter ihrer Führung auf ein nächstes musikalisches Level zu heben. Diese Frau ist – um im Bild zu bleiben – eine Granate im besten Sinne des Wortes: hochkompetent, mitreißend und charmant-witzig in den Zwischenmoderationen.

Zwei Zugaben, Jubel aus Parkett und Rängen am Ende eines herrlichen Abends. Man verlässt das Konzert mit dem befreienden Gefühl einer vorübergehenden Sorglosigkeit und mit einer Erkenntnis. Der Erkenntnis, dass das Vorhandensein von Musik in unserem Leben – wie auch von Kunst und Kultur – ein Gradmesser dafür ist, wie es um unsere Welt bestellt ist.

Erlös kommt LEBERECHT zugute

„Militärmusiker sind in der Zweitverwendung Sanitäter“, hatte Oberstleutnant Schütz-Knopse erklärt. Das letzte echte Konzert hat das Heeresmusikkorps deshalb Weihnachten 2019 gegeben. Seitdem sind die Musiker im „Corona-Einsatz“. Wenn ihre Instrumente wieder vollends erklingen werden, dann wird alles wieder gut sein.
Der Erlös dieses Konzertes kommt der Stiftung Leberecht unserer Zeitung zugute.
Michelle Spillner