Mit Assistenzhund Lenny an seiner Seite hat Niclas weniger Albträume. Doch die beiden kuscheln nicht nur gerne miteinander, sie spielen auch zusammen und gehen spazieren. Dabei gibt Lenny dem Siebenjährigen, der an Cerebralparese leidet, Sicherheit und Motivation. Foto: Ricke

 

Der Junge mit dem Hund

von Theresa Ricke

Niclas Keller guckt dem schwarzen Labrador-Retriever Lenny tief in die Augen. Mit ruhiger, aber klarer Stimme spricht er seinen Assistenzhund an: „Lenny, Tür!“ Lenny reagiert. Er geht zur Haustür und beißt in ein extra dafür angebrachtes Stück Stoff an der Klinke. Er zieht daran, bis die Tür vollständig geöffnet ist. „Gut gemacht, Lenny“, lobt Niclas.

Der Siebenjährige leidet an einer Cerebralparese mit beinbetonter Spastik. Das schränkt ihn in der Fein- und Grobmotorik ein. Auf seinen Rollator gestützt kann Niclas die Tür nicht selber öffnen. Durch Lennys Hilfe gewinnt er an Selbstständigkeit.

Seit September 2022 ist Lenny bei Familie Keller. Der dreijährige Rüde ist ein ausgebildeter Assistenzhund, der Niclas auch beim Socken ausziehen, Kinderzimmer aufräumen und sogar bei den Hausaufgaben hilft – wenn ein Stift auf den Boden fällt, bringt Lenny ihn zurück. Ausgebildet wurde der Hund von Vita Assistenzhunde. Ein Verein, der Menschen mit Behinderung einen „Helfer auf vier Pfoten“ zur Seite stellen möchte. Niclas und Lenny sind bereits das 70. Team aus Hund und Mensch.

LEBERECHT unterstützt Hundeausbildung mit 10 000 Euro

Doch ein Assistenzhund ist teuer: insgesamt 58 600 Euro. Den Hauptanteil davon übernimmt der Verein, die Familie hat einen Eigenanteil von 7500 Euro. Die fünfköpfige Familie hat nach Unterstützung gesucht: „Wir haben verschiedene Stiftungen angeschrieben und unsere Situation beschrieben“, sagt Mutter Janine. So entsteht der Kontakt zur Leberecht-Stiftung, die letztlich 10 000 Euro beiträgt.

Familie Keller ist nur ein Beispiel, bei dem die Leberecht-Stiftung geholfen hat. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt und erst vor Kurzem ihr Tätigkeitsgebiet auch auf den Kreis Offenbach ausgeweitet. Durchschnittlich bewilligt die Stiftung 150 Anträge pro Jahr – die Palette reicht dabei von Zuzahlungen für Hilfsmittel wie einen besseren Rollstuhl, Reittherapien, behindertengerechten Umbauten von Bädern oder Autos bis zu integrativen Spielgeräten auf Spielplätzen oder auch einer Freizeit für Geschwister behinderter Kinder.

Lenny baut Berührungsängste ab

Janine Keller ist dankbar für die Hilfe. Durch Lenny habe Niclas wieder mehr Motivation und Antrieb: „Mit Lenny ist mein Sohn viel bereiter, Strecken mit seinem Rollator zu laufen oder sich mit dem Rollstuhl auf längeren Strecken selbst fortzubewegen.“ Aber nicht nur körperlich unterstützt Lenny Niclas’ Entwicklung. Auch seelisch erkennt Janine Keller Fortschritte: „Lenny ist die ganze Nacht bei Niclas. Er ist sein Freund. Bevor Lenny bei uns eingezogen ist, war es immer Niclas mit dem Rollator oder Niclas mit dem Rollstuhl. Jetzt ist es Niclas mit dem Hund.“ Dadurch würde der Siebenjährige ganz anders wahrgenommen. Die Menschen hätten weniger Berührungsängste und Niclas könne besser Kontakte knüpfen.

Dabei hatte Mutter Janine erst Bedenken, ob Lenny der beste Partner für ihren Sohn ist. Sie hätte sich eher eine Hündin vorgestellt und nicht den schwarzen Lenny, der voller Energie ist. Doch im Zusammenspiel mit Niclas nehme sich der Rüde auffallend zurück. Das beeindruckt Janine Keller: „Wenn Niclas einen schlechten Tag hat, ist Lenny da. Sie legen sich zusammen ins Körbchen und kuscheln. Das hilft Niclas.“ Für den Siebenjährigen steht bald eine Operation an, vor der er sich fürchtet. „Niclas hat geweint und geschrien, weil er nicht operiert werden wollte.“ An diesem Tag sei Lenny immer wieder zu ihm gekommen und hätte ihn angestupst, auch wenn es schwer gewesen sei, an den Jungen heranzukommen. Zum Einschlafen hätte sich Lenny, der sonst lieber an Niclas’ Füßen schläft, von selbst direkt neben den Kopf des Jungen gelegt – so, wie der es sich immer wünscht. „Niclas ist an diesem Tag aus seiner Wut und Verzweiflung immer wieder herausgekommen – durch Lenny.“

In der nächsten Zeit sollen die beiden als Team noch weiter zusammenwachsen. Nach eineinhalb Jahren soll die Zusammenführung mit Lenny abgeschlossen sein, erklärt Lennys Trainerin von Vita Lena Hornscheidt. Sie sieht bisher eine gute Entwicklung: „Wenn ich die beiden sehe, geht mir jedes Mal das Herz auf.“ Lenny zeige sich von seiner besten Seite, hält sich zurück und hat viel Geduld mit Niclas. Anzustrebende Ziele gebe es trotzdem: „Mein Traum ist es, dass die beiden irgendwann ohne Mama oder Papa zu uns in Trainingszentrum nach Hümmerich kommen können.“

Der Artikel ist zuerst erschienen in der Offenbach Post vom 21. März 2023.