Lassen sich nicht unterkriegen: Gemma mit ihren Eltern Iris und Giuseppe. FOTO: SCHADE

Offenbach – Gemma ist 13 Jahre alt, besucht die Albert-Schweitzer-Schule, liebt Bogenschießen und japanische Animes. Ein Mädchen, dessen Zeugnis fast ausschließlich aus Einsern besteht und das später mal Psychologin werden möchte. Aber auch das ist Gemma: Ein Mädchen, das seinen Alltag oft nur mit Schmerzmitteln bewältigen kann. Das es nicht schafft, ohne Hilfe die Treppe hochzugehen. Das von anderen angestarrt und ausgelacht wird. Dessen Knochen bei der geringsten Belastung plötzlich brechen können. Denn sie hat Osteogenesis imperfecta – die Glasknochenkrankheit.

Wie viele Knochenbrüche sie schon hatte? Gemma winkt ab. „Keine Ahnung. Bei 50 habe ich aufgehört zu zählen.“ Den ersten erlitt sie bereits im Alter von zehn Tagen am Bein. „Der ist nie richtig zusammengewachsen“, sagt ihre Mutter Iris Chiaradia – ein Grund für den schwankenden Gang ihrer Tochter. Eine Diagnose gab es damals noch nicht. Die kam erst sieben Jahre und viele Brüche später – ohne dass die Krankheit bereits zuvor in der Familie aufgetaucht wäre.

Da hatte Gemma bereits alles ausprobiert: Skifahren, Reiten, Aikido. Doch auch danach ließ sie sich von liebgewonnenen Dingen nicht abbringen. „Sie ist sehr risikobereit“, sagen die Eltern, um die Willenskraft ihrer Tochter wissend. „Ich kann mich ja nicht in Luftpolsterfolie packen“, betont Gemma. Trotzdem: „Ohne die Krankheit würde ich bestimmt noch viel mehr wagen.“

Es gibt Tage, an denen die Schmerzen so stark sind, dass sie sich mit Medikamenten vollpumpen muss. „Das ist mein weißer Raum“, sagt sie. Vor allem ihr Rücken quält sie. „Es ist die Hölle.“

Krankheit ist nicht heilbar

Etliche Operationen musste sie über sich ergehen lassen, trotz ihrer Spritzenphobie. Heilen lässt sich die Krankheit nicht, nur die Symptome behandeln. Neben den Pillen ist es Physiotherapie, um die Muskeln zu stärken und die Sturzgefahr zu verringern.

Die körperlichen Beeinträchtigungen sind das eine, die psychischen das andere. „Sobald man anders ist, reagieren die Menschen abwertend“, so ihre Erfahrung. Kinder strecken ihr die Zunge aus, sie wird auf der Straße beleidigt. „Am schlimmsten ist, wenn Leute mich anstarren oder hinterrücks über mich reden. Als wäre ich ein Alien.“ Manchmal wäre sie gern wie die anderen. „Auch wenn ich es eigentlich mag, wer und wie ich bin.“ Sie fragt sich: „Wer macht eigentlich die Norm? Und was gibt den Menschen das Recht, über mich zu urteilen?“

Inklusion erwies sich in ihrer Schullaufbahn oft als Worthülse, obwohl sie von Anfang an Regelschulen besuchte. Es beginnt mit den räumlichen Begebenheiten. „Im Neubau meiner Schule ist zum Glück ein Aufzug. Aber Kunst habe ich im Altbau im zweiten Stock. Da komme ich nicht hin, sitze dann allein in einem anderen Raum.“ Sie hatte schon Treppenstürze und Knochenbrüche in der Schule. Einmal wäre sie fast vom Klassenfoto ausgeschlossen worden, da es in einem oben gelegenen Raum gemacht werden sollte.

Iris Chiaradia, die für ihre Tochter wie eine Löwin kämpft, konnte eine Verlegung bewirken. Und auch, dass Gemma mit auf Klassenfahrt durfte. „Der Papa ist mitgefahren, denn sonst wollte keiner die Verantwortung übernehmen.“ Es gebe gute, engagierte Lehrer, aber auch welche, die ihnen zu verstehen gegeben haben, ein solches Kind nicht in der Klasse haben zu wollen. Sie braucht einen Spezialstuhl, um ihre Position verändern zu können, da sonst die Schmerzen zu stark werden. Deshalb gebe es auch dumme Sprüche – und Neid. „Mittlerweile sage ich: Nimmst du die Krankheit? Dann kannst du gern den Stuhl haben.“

Gemma ist selbstbewusst geworden. In der Vergangenheit hat sie viel ertragen, sich kaum gewehrt. Besser wurde es dank dem Homeschooling. Per Online-Chat sagte sie den Mitschülern mal gehörig die Meinung, offenbarte ihre Gefühle. Seitdem werde sie viel respektvoller behandelt. „Ein Mädchen hat sich sogar bei mir entschuldigt. Das fand ich sehr stark von ihr.“

LEBERECHT ermöglicht Europa-Park-Besuch

Vorletztes Jahr bewarb sich Gemma bei Make-A-Wish, eine Organisation, die Kindern mit ernsten Krankheiten Herzenswünsche erfüllt. Sie wünschte sich eine Reise nach Japan, ist fasziniert von dessen Kultur. Weil dies coronabedingt leider nicht möglich ist, bekommt sie stattdessen nächste Woche ein „perfektes Wochenende“ ganz nach ihren Vorstellungen im Europa-Park. Die LEBERECHT-Stiftung hat die Wunschpatenschaft für die Offenbacherin übernommen, unterstützt mit 3000 Euro.

„Ich möchte mir schöne Erinnerungen schaffen. Weil ich weiß, dass mir das Kraft gibt.“ Die Reise nach Japan, versprechen die Eltern, wird nachgeholt. Auch wenn es bedeutet, lange darauf hinzusparen…