Blumenfreundin: Jutta W. Thomasius, quirlig wie stets, verstand es wie keine Zweite, für den guten Zweck – die Leberecht-Sammlung dieser Zeitung – Freunde, Spender und großzügige Unterstützer zu finden. Die Aufnahme entstand im Jahr 2010. Foto: Martin Weis
Sie war das Gesicht der Frankfurter Neuen Presse und der LEBERECHT-Stiftung: Die Journalistin Jutta W. Thomasius. Sie ist am 28. August 2019 im Alter von 96 Jahren in Frankfurt gestorben.
jwt – das war ihr Kürzel und Markenzeichen, sie war Reporterin für Gesellschaft, Zoo und Flughafen, gute Seele der Leberecht-Stiftung und das Gesicht der Frankfurter Neuen Presse. jwt, das war Jutta W. Thomasius. Sie hielt es bis zuletzt so preußisch wie möglich, so wie sie als einzige Tochter erzogen worden ist. Jetzt hat sich der Kreis dieses Lebens geschlossen, das 1923 in Bad Hersfeld begann, ihr eine Kindheit im Luxus, in einem Haus mit vielen Zimmern und einem großen Garten weit wie ein Feld bot. Sie dachte zuletzt immer häufiger an den Tod. Und hatte einen Wunsch: „Ich will mit Anstand sterben.“
Ein reiches Leben wurde ihr bescheinigt, wann immer man sie würdigte. Von der Legende war bald die Rede. Sie selbst machte keine großen Worte um sich, schon gar nicht um ihr Werk. Wie in ihren Berichten richtete sie den Glanz auf die Menschen, denen sie begegnete, den universell Gebildeten wie dem Zoodirektor Bernhard Grzimek, die Vielseitigen verehrte sie überhaupt, Spezialistentum langweilte sie. Die deutschen Hollywood-Schauspieler Gert Fröbe und Peter van Eyck hat sie wie auch viele Lokalprominente in ihrer ersten Frankfurter Wohnung bewirtet, klein war sie, unterm Dach. Ihre Begegnung mit Cassius Clay gehört zur Stadtgeschichte, wie sie erst Mutter Clay zur Modenschau mitschleppte, und Mutter Clay dann sie zum Box-Training, wo die Thomasius den Champion unter der Dusche erblickte. „Ein schöneres Mannsbild habe ich nie gesehen.“
Sammeln für die LEBERECHT-Stiftung
Sie war es auch, die Jürgen Schneiders Betrügereien aufdeckte, was ihr Vergnügen bereitete, weil sie den Baulöwen wie alle hochmütigen Gecken nicht leiden mochte. Nicht, dass sie diese Anekdoten nicht gern erzählte. Mit Nachdruck aber betonte sie andere Leistungen: Dass sie es war, die die Kollegen mit auf die Freßgass’ geschleppt hat, um für die Leberecht-Stiftung zu sammeln, wie sie überhaupt als eine Art rasendes Mädchen für alles überall dort die Fahne der Zeitung hochgehalten hat, wo Leser waren.
Sie hatte eine Leidenschaft für die Haute Couture. Sie hat den Frankfurter Modekreis gegründet, Modeschauen organisiert im Namen der Frankfurter Neuen Presse, eigene Kreationen entworfen. Die Oper war schon in jungen Jahren nur ein Traum, dabei sang sie gut, 250 Arien und Lieder konnte sie auswendig. Studiert hat sie Germanistik, Musik und Kunstgeschichte, las viel. All diese Neigungen kamen zu kurz im Berufsalltag, blieben verbannt ins Private. Sie habe eben nie Zeit gehabt, sagte sie. Rund um die Uhr war sie auf Achse.
Sie galt als treu, als zuverlässig ohnehin, mehr als 60 Jahre war sie bei dieser Zeitung, aber bei allem, was sie der Zeitung, den Lokalchefs und Chefredakteuren zu verdanken hatte, beschlich sie zuweilen auch das Gefühl, ihr Einsatz sei nicht angemessen gewürdigt worden. „Ich hätte öfter Nein sagen sollen“, sagte sie einst. Um dann wieder davon zu schwärmen, mit welcher Hingabe einst Zeitung gemacht wurde, weil nicht jeder Cent umgedreht werden musste. Sie ist in diesen Blütezeiten selbst zu einem Teil der Lokalprominenz geworden, erhielt viele Preise, auch das Bundesverdienstkreuz.
„Ich hätte gerne sechs Kinder gehabt, ohne Mann.“
Stets war sie elegant gekleidet, trug Hut oder Baskenmütze, 13 treue Hunde haben sie durchs halbe Leben begleitet.
„Ein leidenschaftlicher Journalist muss Single sein“, sagte sie einmal, aber auch: „Ich hätte gerne sechs Kinder gehabt, ohne Mann.“ Ihre Ehe, das war Ende der 40er Jahre, hielt nur zwei Jahre. Zu jener Zeit musste sie auch für die Mutter sorgen. Der Vater war bald nach dem Krieg gestorben, am Bodensee, wohin es die Familie verschlagen hatte, war der Mutter nicht viel geblieben. Eine Familie, kleine Leute, half ihnen. Seither war ihr die Solidarität mit denen, die am Boden liegen, mehr als ein politisches Anliegen. Und der Bodensee ihre Heimat.
Von dort tingelte sie als Jazzsängerin durch Bars, arbeitete als Fremdsprachenkorrespondentin, als Dolmetscherin für die französischen Besatzer, saß wegen eines Missverständnisses sogar ein halbes Jahr lang im französischen Militärgefängnis. Eine Freundin animierte sie, nach Frankfurt zu kommen. Jutta begann, für ein Frauenjournal zu schreiben, kam zur Abendpost Nachtausgabe. Und dann, 1953, zur Frankfurter Neuen Presse.
Die Heimat Bodensee
Dass sie vor 16 Jahren zurück an den Bodensee gezogen ist, dafür nannte sie vor allem einen Grund: die teuren Mieten in Frankfurt. 30 Jahre hatte sie am Dornbusch gelebt, standesbewusst auf 110 Quadratmetern. Aber sie hatte in den vielen Jahren als freie Zeitungsmitarbeiterin nie vorgesorgt, ein festes Honorar, endlich als Anerkennung, wie sie sagt, erhielt sie erst spät, ihre Rente war entsprechend schmal. 2018 dann spielte ihre Gesundheit nicht mehr mit; nach einer Operation zog sie vom Bodensee zurück nach Frankfurt, in die Kursana-Seniorenvilla an der Eschersheimer Landstraße. Nur kurz konnte sie dort die Gesellschaft von Wolfgang Kaus, dem alten Freund und langjährigen künstlerischen Leiter des Volkstheaters Frankfurt, genießen, er starb im Juli 2018 wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag. „Ich würde gern so viel noch machen“, sagte Kaus einmal. Beide könnten sie je ein dickes Buch mit ihren Memoiren füllen. Doch daraus wurde nichts und Jutta fragte ganz uneitel: „Wer soll das denn lesen?“ Und sie sprach auch einmal von ihrer Vorstellung des eigenen Todes, nämlich wie der Vater während eines schönen Fest einfach umzufallen: „Das wäre wunderbar.“
Jutta W. Thomasius, die eine Adoptivtochter hinterlässt, wird im Friedwald Dietzenbach beigesetzt. Zuvor gibt es eine Trauerfeier in der Katharinenkirche. Der Termin wird noch bekanntgegeben.
Mark Obert und Ute Vetter