Carla, Darina und Jana Berger sind glücklich darüber, dass Labrador Hardy ihnen künftig im Alltag hilft. FOTO: SCHEPP

Im Sommer ist er eingezogen. Hardy, zwei Jahre alt, 35 Kilo schwer, weiches Fell, feuchte Schnauze. Sein Beruf: Assistenzhund. Seine Familie: Jana, Darina und Carla Berger. Carla (4) leidet an einer frühkindlichen Autismusstörung. Da die Krankenkasse die Kosten für den Labrador nicht übernimmt, sprangen die Leberecht-Stiftung und viele Leser ein.

Gießen – Ein Bummel durch den Seltersweg, ein Besuch im Café, Einkaufen im Supermarkt. Jana Berger ist aufgeregt, ihre Hände sind schweißnass. Solche »Abenteuer« wagt sie mit Carla nur ganz selten. Das kleine Mädchen mit der Autismusstörung ist unruhig, manchmal schreit sie sich die Seele aus dem Leib, manchmal läuft sie blitzschnell weg oder wirkt apathisch. Sie spricht nicht, sondern lebt in ihrer eigenen Welt. Und nun ist auch noch der Hund dabei, auf den man aufpassen muss! Als Jana Berger schildert, wie es ihr bei dem ersten Ausflug mit Hund und Kind ging, muss sie selbst lachen. »Meine Nervosität war grundlos, es war alles ganz entspannt«. Offenbar, so die 35-Jährige, gibt allein die Anwesenheit des Hundes ihrer Tochter Sicherheit. Ob das immer so bleiben wird, ist schwer zu sagen. Doch der Start des gemeinsamen Lebens ist geglückt. Der Hund wird eine Entlastung für die Familie sein.

28000 Euro kostet die Ausbildung des Hundes

 Ein gutes halbes Jahr hat die Grafikerin gewartet, bis feststand, dass Labrador Hardy ihr Hund werden würde. Der Rü-de wurde zuvor von dem Verein Patronus in Rostock auf seine Aufgabe als Assistenzhund vorbereitet. Insgesamt zwei Jahre dauert eine solche Ausbildung, sie verursacht Kosten in Höhe von 28000 Euro. Eine Summe, die Jana Berger nie hätte aufbringen können. Doch nachdem diese Zeitung im November 2020 von ihrem Wunsch berichtete, einen solchen Helfer auf vier Pfoten in die Familie zu holen, gab es eine Welle der Hifsbereitschaft. Privatleute und Vereine spendeten oder starteten Sammelaktionen, für den Löwenanteil sorgte die Leberecht-Stiftung. »Ich bin jedem Einzelnen unendlich dankbar«, sagt Jana Berger. Therapiehunde werden in der Regel von den Krankenkassen finanziert, ihre positive Wirkung auf behinderte Menschen ist unbestitten. Bei Assistenzhunden für Kinder mit Autismusstörung ist das anders, denn dazu gibt es noch keine gesicherten wis-senschaftlichen Studien. Fachleute sind sich jedoch einig, dass ein Vierbeiner eine Wächterfunktion einnimmt und der Förderung der Kinder dient. Sowohl Carlas Ärztin als auch Mechthild von Niebelschütz, die Leiterin des Montessori-Kinderhauses, das Carla besucht, befürworten den Assistenzhund.

Dass der eingeschlagene Weg der richtige ist, hat sich kürzlich durch eine erneute Diagnose bestätigt. Wie eine humangenetische Untersuchung zeigt, leidet Carla unter dem Phelan-Mc-Dermid-Syndrom. Das ist ein sehr seltener genetischer Defekt, der neben autistischen Verhaltensweisen auch gestörtes Schlafverhalten, verzögerte oder ausbleibende Sprachentwicklung, mentale Entwicklungsstörungen und eine hohe Schmerztoleranz (was die Verletzungsgefahr erhöht) mit sich bringt. Auch bei der Erkrankung wird ein Assistenzhund empfohlen.

 Die erste Woche mit Hardy war für die Familie aufregend und anstrengend. Die Trainerin des Vereins Patronus, die den Labrador ausgebildet hat, hat Jana Berger auf ihre Aufgabe vorbereitet. Sie ist diejenige, die den Hund führen und mit ihm kommunizieren wird – die Dreierkonstellation Erwachsener, Kind, Hund ist ein Unterschied zum klassischen Therapiehund, der eine direkte Beziehung zu dem behinderten Menschen aufbaut. Da dies bei Autisten nur begrenzt möglich ist, spielt die Familie eine große Rolle. Der Rüde hat gelernt, zwischen Freizeit und Dienst zu unterscheiden. Bei der Arbeit darf er weder spielen noch mit anderen Hunden Kontakt aufnehmen. Eine seiner Aufgaben ist es, Carla bei ihren Weglauftendenzen zu stoppen. Dazu ist er sowohl mit der Mutter des Kindes als auch mit Carla mit einer Leine verbunden. Er ist für das Mädchen ein ruhender Pol, der Sicherheit vermittelt. Wenn Hardy frei hat, darf er tun, was Labradore wie er am liebsten tun: Dösen, rennen, fressen, spielen, kuscheln. Bis zum Dienstbeginn ist (fast) alles erlaubt. Nur wenn es ihm gut geht, kann er ein guter Aufpasser sein. Und dann verzeiht er sogar, wenn ihm »sein« kleiner Mensch im Überschwang ins Ohr zwickt. Stoisch weicht er nicht von der Seite seines Schützlings. Gelernt ist gelernt.